Lichtlein: Es fühlt sich fast so an wie früher
Die MT Melsungen gastiert am Samstag beim HC Erlangen. Anwurf ist um 19 Uhr. Wieder im MT-Kader: Carsten Lichtlein. Ein Interview mit dem reaktivierten Torhüter.
Seit Dienstag hat die MT Melsungen eine Anekdote mehr, die im Saisonrückblick nicht fehlen darf: die Rückkehr von Carsten Lichtlein (Foto: Käsler). Der 44-Jährige feierte in der EHF European League sein Comeback auf der großen Handballbühne. Gegen Bidasoa Irun hatte der Torwart-Oldie nach seiner Einwechslung maßgeblichen Anteil daran, dass die MT das Viertelfinal-Hinspiel noch in einen Sieg drehte.
Nach dem Ausfall von Stammkeeper Nebojsa Simic (Kreuzbandriss) ist es nicht unwahrscheinlich, dass Lütti, wie Lichtlein genannt wird, nun auch in der Bundesliga zum Einsatz kommt, und zwar am Samstag gegen den HC Erlangen. Wir sprachen mit ihm über die besondere Situation.
Lütti, was sagt dein Körper?
Du wirst lachen – mir geht’s überraschend gut. Ich war am Mittwochmorgen direkt um 8 Uhr im Kraftraum. Alles paletti.
Hast du zuletzt Sonderschichten beim Training eingelegt?
Ich merke schon, dass es in meinem Alter etwas länger dauert, bis ich in die Gänge komme. Jetzt am Dienstag habe ich vor dem Spiel spezielle Dehnübungen in der Kabine gemacht. Und natürlich habe ich mich im Training extra vorbereitet. Ich kann aber sagen: Es fühlt sich fast so an wie früher.
Wie waren die Reaktionen nach deinem Einsatz?
Mit einem Wort: überwältigend! Viele Fans haben sich bedankt, dass ich eingesprungen bin. Für mich war und ist es eine Selbstverständlichkeit, der Mannschaft zu helfen. Sie ist personell so gebeutelt – solch ein Verletzungspech habe ich in meiner Karriere noch nicht erlebt. Trotzdem lassen sich die Jungs nicht unterkriegen. Auch am Dienstag haben sie die Ausfälle von Simo und unseren beiden Linkshändern im Rückraum weggesteckt, haben einen Vier-Tore-Rückstand aufgeholt. Da kann ich nur den Hut ziehen.
Du hast so viel erreicht und gewonnen – welchen Stellenwert nimmt da dieses Comeback ein?
Zunächst einmal war es super emotional. Beim Final4 in Köln hatte ich ja schon als Ersatz auf der Bank gesessen. Und ganz ehrlich: Eigentlich wünschst du dir, nicht rein zu müssen. Vielleicht mal für einen Siebenmeter. Als dann Roberto am Dienstagabend zu mir kam und sagte: „Carsten, wir wechseln.“, da ging mein Puls schon ein bisschen in die Höhe. Ich habe mir einen Energy-Drink reingepfiffen – und los ging’s. Ich habe gleich ein paar Bälle gehalten, unsere tollen Fans waren da, Gänsehaut pur.
Wie schnell hat das Umschalten funktioniert von der Trainer- zur Torwartrolle?
So viel hat sich für mich gar nicht geändert. In Köln zum Beispiel hatte ich Simo für die Spiele präpariert, und parallel habe ich mir die Videos nicht nur aus der Trainer-, sondern auch aus der Spielerperspektive angeschaut. Das lief vor dem Irun-Spiel mit Adam genauso.
Nun bist du ganz offiziell aus der Torwart-Rente reaktiviert. Hättest du dir auch nicht träumen lassen, oder?
Eigentlich nicht. Doch als ab Januar ein Spieler nach dem anderen ausfiel und mehr als die Hälfte der Mannschaft verletzt war, kam ich schon ins Grübeln. Nach jedem weiteren Schock haben wir gesagt, schlimmer kann es nicht mehr werden. Die Realität hat uns aber eines Besseren belehrt. Von daher war für mich nichts mehr unmöglich.
Trotz der personellen Misere mischt die MT im Europapokal und im Titelrennen der HBL weiter fleißig mit. Woher nimmt die Mannschaft die Kraft und die Motivation?
Jeder springt für den anderen in die Bresche. Jeder ist müde – körperlich und im Kopf. Aber wir schaffen es, uns jedes Mal wieder zu fokussieren. Die Jungs stehen zusammen, bei Rückschlägen und Rückständen. Es herrscht eine unglaubliche Energie innerhalb der Mannschaft. Und der Tenor ist: Wir sind bis jetzt so weit gekommen. Warum sollen wir den Kopf in den Sand stecken? Wir wollen das Maximum.
Ein gutes Stichwort für Samstag. Es geht gegen deinen Ex-Klub, den HC Erlangen…
Dort müssen wir einen kühlen Kopf bewahren. Erlangen ist bekannt dafür, sehr hart und aggressiv zu spielen. Viggo Kristjansson befindet sich in sehr guter Form. Den müssen wir in den Griff bekommen. Das lässt sich nur im Kollektiv lösen. Und im Angriff müssen wir unsere Chancen nutzen, da haben wir zuletzt zu viel liegengelassen.
Blicken wir ein bisschen in die Zukunft, auf den 31. Spieltag. Dann spielt die MT in Berlin, und es könnte zum Familien-Duell mit deinem Neffen Nils Lichtlein kommen. Schon mal darüber nachgedacht?
Ja, das könnte so kommen und wäre supergeil. Vor allem dann, wenn wir Ende Mai weiterhin um die Meisterschaft spielen. Im Übrigen gab es das Duell schon mal, als ich noch für Minden im Einsatz war. Die Statistik spricht für mich: ein Wurf von Nils, ein gehaltener Ball (lacht). Aber es ist noch ein weiter Weg bis dahin. Jetzt müssen wir erst einmal gegen Erlangen bestehen. (Robin Lipke)
Zur Person
Carsten Lichtlein (44) stammt aus Würzburg. Er spielte in seiner Profikarriere für: TV Großwallstadt, TBV Lemgo, VfL Gummersbach, HC Erlangen, GWD Minden. 712 Bundesliga-Partien und 547 parierte Siebenmeter sind bis heute Bundesliga-Rekord. Für die DHB-Auswahl bestritt er 220 Partien, wurde 2007 Welt- sowie 2004 und 2016 Europameister. Mit Lemgo gewann er 2006 und 2010 den EHF-Cup. Seit der Saison 2022/23 ist er bei der MT Melsungen als Torwarttrainer tätig. Lichtlein ist verheiratet und Vater zweier Söhne.
Zum Spiel am Samstag:
Bilanz MT - HCE
19 HBL-Spiele, 13 Siege MT, 3 Siege HCE, 3 Remis
2 DHB-Spiele, 2 Siege MT
Letzter Vergleich:
2.11.24, HBL, MT – HCE 31:27
Schiedsrichter: Marcus Hurst (Berlin) / Mirko Krag (Frankfurt); Spielleitung: Lutz Pittner.
Spielort: Arena Nürnberger Versicherung, Kurt-Leucht-Weg 11 in Nürnberg
Übertragung:Dyn berichtet live ab 18.45 Uhr. Kommentator ist Lukas Brachat.