HNA: ACHTJÄHRIGER HANDBALLER HAT LEUKÄMIE ÜBERSTANDEN

Seine Welt ist klein und rund. Denn nichts hält Carl lieber in den Händen als einen Handball. Vor allem mit seinen Freunden bei der E-Jugend des GSV Eintracht Baunatal. Nichts trägt er lieber als eines seiner vielen Handballtrikots, von denen er selbst gar nicht so genau weiß, wie viele es eigentlich sind. Und nichts macht er lieber als Handball spielen.

Im vergangenen Jahr aber hat sich Carls Welt so schnell gedreht wie ein Handball, den ein Torjäger aus vollem Lauf ins Tor wirft. Denn quasi aus vollem Lauf wurde das fröhliche und unbeschwerte Leben des heute Achtjährigen und seiner Familie auf den Kopf gestellt. Für die Mihrs hat sich alles geändert an jenem Novembertag 2017, eine Woche vor Carls siebtem Geburtstag.

Es beginnt mit Schmerzen in beiden Oberschenkeln. „Wir haben gedacht, es käme vom Wachstum oder vom Training“, erinnert sich Mama Silke, die das Team ihres Sohnes auch coacht. Auf die Diagnose, die der Hausarzt der Familie dann stellt, kommt niemand: Leukämie. „Ich habe falsche Blutzellen“, erklärt Carl heute seine Krankheit. Schlagartig ist alles anders. Für Papa Sören, der als Förster arbeitet. Für Mama Silke, die Steuerberaterin. Für die beiden größeren Geschwister Sören (14) und Charlotte (11).

Umzug in die Kinderonkologie

Carl muss umziehen – in die Kinderonkologie des Uniklinikums Kassel. Die Station F71 wird für ihn und seine Mutter das neue Zuhause auf Zeit. „Dort arbeiten ganz tolle Menschen. Wir haben uns sehr gut aufgehoben gefühlt“, sagt Silke Mihr. „Aber das Leben ist wie in einem Kokon.“ Denn die Behandlung läuft abgeschirmt von der Außenwelt. Offen aber gehen alle mit der Erkrankung um. Heute sagen seine Eltern: „Carl hat die Situation super angenommen. Mit einer Gelassenheit, die uns überrascht hat. Mit einem Urvertrauen gegenüber den Ärzten. Er hat in all der Zeit nicht einmal geweint. Er hat es so auch für uns unfassbar einfach gemacht.“

Carl bekommt Chemotherapie, auch direkt in den Rücken. Unter Vollnarkose. „Papa stand hinter mir und hat mich gehalten. Wir haben runtergezählt. Drei, zwei – aber bei eins war ich schon eingeschlafen“, erinnert er sich. Einen Handballtraum hatten ihm die Ärzte versprochen. „Aber den hatte ich nicht.“ Carl verliert die Haare, bekommt Cortison. „Da hatte ich ganz viel Hunger und habe sogar neun Mini-Pizzen auf einmal gegessen.“ Ahle Wurscht, Gehacktes und Weckewerk aber, seine Lieblingsessen, sind tabu.

Er kann und darf weder zur Langenbergschule gehen, die er eigentlich besucht. Auch an Handball ist natürlich nicht zu denken. Doch, neben der Familie, sind es die Handballer und der Handball, die ihn durch die schwere Zeit tragen. Nicht nur, weil die Frage „Wann kann ich wieder Handball spielen?“, ihm hilft, sich Ziele zu setzen. Es sind vor allem seine Sport-Freunde, die ihn unterstützen. Sie schicken ihm ein großes Mannschaftsfoto ins Krankenhaus mit der Botschaft „Wir warten auf dich“.

Besuch von der MT Melsungen

Nicht nur sein bester Freund Hannes besucht ihn häufig. Michael Müller von der MT Melsungen kommt mehrfach ins Krankenhaus, bringt ein Trikot von Nationalspieler Tobias Reichmann mit. Nationaltorhüter Andreas Wolff schickt ein persönliches Video, die Melsunger Bundesliga-Handballer laden Carl und Hannes zum Training ein. Es sind viele kleine Glücksmomente, die dem kranken Jungen weiter Auftrieb geben. Im August sagt ihm die Ärztin: „Du bist jetzt gesund.“

Für Carl ein Schlüsselmoment. Er geht wieder zur Schule, in seine alte Klasse, ist jetzt ein Zweitklässler. „Jeder wollte neben mir sitzen“, sagt er stolz. Mit der Lehrerin im Krankenhaus hat er fleißig gelernt, schafft mühelos den Anschluss. Alle zwei Wochen muss er noch ins Krankenhaus. Es läuft die Erhaltungstherapie, er bekommt Chemotabletten. Vor allem aber: Carl darf endlich wieder Handball spielen. Mit seiner Mannschaft, die nicht länger auf ihn warten muss.
(Quelle: HNA, 24.12.18, Text u. Foto: Michaela Streuff)
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M. Streuff-Foto: Carl Mihr (links) hat die Leukämie auch dank der Unterstützung von Freund Hannes Rohrbacher überstanden.