KÜHN, HÄFNER, LEMKE UND REICHMANN IM HNA-INTERVIEW ÜBER DIE CORONA BEDINGTE ZWANGSPAUSE.

Vier Spieler der MT Melsungen gleichzeitig im HNA-Interview – in normalen Zeiten undenkbar. Doch wegen der Coronakrise ruht der Spielbetrieb, die Saison der Handball-Bundesliga ist beendet, und die Profis haben somit Gelegenheit für ein ausgiebiges Gespräch. Die Sportredakteure Björn Mahr und Robin Lipke trafen die Europameister von 2016, Kai Häfner, Finn Lemke, Julius Kühn und Tobias Reichmann, im Kasseler Park Schönfeld. Dort gab es keine Probleme, die Abstände einzuhalten.

Kai Häfner: Ich war zwar schon dreimal auf dem Herkules und habe die Wasserspiele im Berpark gesehen, aber hier war ich noch nicht.

Apropos Coronakrise: Wie kommen Sie mit der Situation zurecht?

Tobias Reichmann: Ich habe mich an die Situation gewöhnt. Ich bin aber froh, dass die Kita wieder geöffnet hat und meine Kinder mit Freunden spielen können.

Julius Kühn: Die ersten Wochen waren schon sehr komisch. Zumal Tobi, Kai und ich nach dem Lehrgang der Nationalmannschaft 14 Tage in Quarantäne mussten. Jetzt weiß man erst zu schätzen, was es für ein hohes Gut ist, sich frei bewegen zu können.

Wann haben Sie sich zum letzten Mal gesehen?

Finn Lemke: Ich habe den einen oder anderen schon mal beim Krafttraining gesehen, aber da haben wir ja auch unterschiedliche Übungszeiten.

Reichmann: Ich war jetzt drei Monate praktisch zu Hause und habe mein eigenes kleines Kraftstudio genutzt.
Thema Nationalmannschaft

Blicken wir auf die Nationalmannschaft: Normalerweise würden Sie in diesen Tagen um die WM-Quali spielen, oder?

Reichmann: (lacht) Ja, normalerweise wäre jetzt unser Rhythmus so: Training, Spielvorbereitung, Spiel.

Häfner: Eine Zeitlang habe ich mich damit noch beschäftigt. Wir wollten ja wissen, wann es wieder losgeht. Dann waren wir aber ohne weitere Spiele qualifiziert. Jetzt sind solche Themen wie die WM weit weg. Es war aber richtig, dass alle Wettbewerbe abgebrochen wurden.

Kühn: Normalerweise wäre für uns nun die heiße Phase. Auch Olympia hätten wir jetzt eigentlich im Blick. Allerdings hat die Pause auch etwas Gutes. Viele Spieler können ihre Wehwehchen auskurieren. Handball-Spiele ohne Zuschauer kann ich mir sowieso schwer vorstellen. Handball lebt von Emotionen, von Stimmung. Wenn das wegfällt, ist das schlecht. Man sieht es beim Fußball: ohne künstliche Stadionatmosphäre – das ist hart.

Lässt sich beurteilen, wie es mit dem neuen Bundestrainer Alfred Gislason angelaufen ist?

Reichmann: Man erkennt schon, dass sich Alfred viele Gedanken macht. Wir feilen an vielen Spielzügen, damit wir sehr variabel sind.

Häfner: Wenn er den Raum betritt, dann merkst du bei seinen Ansprachen: Der hat viele Titel gewonnen, der hat Jahrzehnte auf höchstem Niveau gecoacht, der hat eine brutale Erfahrung. Ich habe sehr viel Bock darauf, das noch mehr kennenzulernen.

Kühn: Ich hätte nicht gedacht, dass Alfred so akribisch arbeitet. Er ist ständig bemüht, uns etwas beizubringen.

Finn, hört sich interessant an, oder?

Lemke: Ich bin jederzeit bereit, für Deutschland zu spielen. Ich kann mich über den Verein nur anbieten.
Thema Profi-Handball

Bundesliga-Geschäftsführer Frank Bohmann machte im Interview dieser Zeitung deutlich, wie er sich Sorgen um seinen Sport mache. Wie denken Sie?

Reichmann: Nichts wird mehr so sein, wie es mal war. Konkretes werden wir aber erst im September sagen können, wenn es hoffentlich vor Zuschauern wieder losgeht.

Lemke: Wir sind jetzt etwas ins Hintertreffen geraten, hinter Fußball und Basketball. Die Fußballer haben ein Konzept entwickelt und das super gemacht. Bei uns wurde anders als beim Basketball im Kollektiv entschieden, und dann muss man damit leben.

Kühn: Der Handball wird nicht verschwinden. Die Fans verlieren ja nicht die Lust. Eine andere Sache ist die finanzielle Lage: Wie kommen die Klubs durch die Krise? Das muss man abwarten.

Inwieweit tauschen Sie sich mit Profis anderer Klubs aus?

Häfner: So wie ich es mitbekommen habe, haben es die meisten Klubs mit Unterstützung ihrer Partner und Sponsoren ganz gut geschafft, die Situation bis zum 30. Juni zu meistern. Die größte Herausforderung wird sein, die nächste Spielzeit zu überstehen. Ich halte aber nichts davon, jetzt schon Horror-Szenarien durchzugehen.

Lemke: Wir sind mit der Spielergewerkschaft Goal in engem Kontakt. Und darüber herrscht ein enger Austausch mit allen Vereinen.

In der Vergangenheit ging es viel ums Thema Überbelastung. Das schien sich zu relativieren. Nun droht wieder eine Terminhatz. Wie groß sind die Sorgen?

Häfner: Niemand hat Erfahrungen mit einer solch langen Pause. Deswegen rechne ich damit, dass die nächste Saison noch knackiger wird.

Und überhaupt: Was hoffen Sie für die Zukunft?

Reichmann: Dass man ruhigen Gewissens Training und Spiele gestalten kann. Dass man sich keine Gedanken machen muss: Darf ich meinen Gegenspieler berühren? Und wichtig wird sein, dass die Spieler gesund bleiben.

Nun zum Verein: Was nehmen Sie aus der abgelaufenen Saison mit?

Kühn: Wie in den vergangenen Saisons ist wieder die mangelnde Konstanz unser Problem. Wir können jeden schlagen, aber auch gegen jeden verlieren. Wir müssen mal lernen, unseren Ansprüchen gerecht zu werden.

Lemke: Wir haben Europa verpasst.

Häfner: Es waren aber auch ein paar Highlights dabei.

Lemke: Für mich zählt nur das Endergebnis.

Hat die Coronazeit den Zusammenhalt im Team womöglich gestärkt?

Reichmann: Ich hatte so wenig Kontakt wie noch nie. Jeder hatte viel mit sich selbst zu tun. Mit den Lockerungen erhöht sich der Kontakt wieder.

Lemke: Es ist wieder mehr Lust da, Zeit mit den Mannschaftskollegen zu verbringen. Durch die Pause wurden wir daran erinnert, wie schön doch Mannschaftssport ist.

Wie sieht die Perspektive für die nächste Saison aus?

Lemke: Jetzt haben wir wieder ein Ziel vor Augen, wenn wir im September oder Oktober wieder spielen können. Die Zeit bis dahin können wir optimal nutzen, um dann die Belastung zu überstehen.

Kühn: Es macht keinen Sinn, in der Halle zu trainieren. Individuelles Training reicht, um die Grundlagen zu legen.
Thema private Pläne

Wie sehen Ihre Pläne für den Sommer aus?

Reichmann: Geplant war ein Urlaub, der wird aber wahrscheinlich nicht stattfinden.

Häfner: Nichts drin. Geburtstermin bei uns ist am 3. Juli.

Lemke: In dieser Region sind alle Möglichkeiten gegeben, um Urlaub zu machen. Zum Beispiel am Edersee.

Zu den Personen
Finn Lemke
 (28, gebürtig aus Bremen) trug bislang 78-mal das deutsche Nationaltrikot. Lemke spielt seit 2017 bei der MT Melsungen. Er ist mittlerweile Kapitän. Zuvor war er beim SC Magdeburg. Lemke ist verheiratet und hat zwei Kinder.

Tobias Reichmann (32, aus Berlin) bestritt 91 Länderspiele für die deutsche Nationalmannschaft. Der Rechtsaußen kam 2017 vom polnischen Champions-League-Sieger Kielce zur MT Melsungen. Reichmann ist verheiratet und hat zwei Kinder.

Julius Kühn (27, aus Duisburg) ist seit 2014 deutscher Nationalspieler. Bislang steht er bei 62 Länderspielen. Der Rückraumschütze wechselte 2017 vom VfL Gummersbach zur MT Melsungen. Kühn ist in festen Händen.

Kai Häfner (30, aus Schwäbisch-Gmünd) lief 91-mal für die Auswahl des Deutschen Handballbundes auf. Nach fünf Jahren bei der TSV Hannover-Burgdorf heuerte Häfner 2019 bei der MT an. Er ist verheiratet. Seine Frau und er erwarten im Sommer ihr erstes Kind.

Foto: Andreas Fischer
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