WIE DIE MT-HANDBALLER VON “BIG DATA” PROFITIEREN

Es hört sich fast ein bisschen nach Science-Fiction an, ist aber bereits technisch so ausgereift, dass es seit dieser Saison in der LIQUI MOLY Handball-Bundesliga Einzug gehalten hat. Gemeint ist die zukunftsweisende Analyse-Technologie der Firma Kinexon, die Bewegungs- und physiologische Daten der Handballprofis während des Spiels erfasst. Um die Daten noch zielgerichteter für die Melsunger Bundesligaprofis nutzbar zu machen, hat MT-Partner eoda, Data Science-Spezialist mit Sitz in Kassel, kürzlich einen kreativen Use Cases-Workshop veranstaltet. An der Schnittstelle zwischen Datengewinnung, Analyse und Aufbereitung für die Trainingspraxis steht mit Sportwissenschaftler Dr. Florian Sölter der Athletikcoach des MT Bundesligateams.

Was in Zeiten von Google, GPS & Co so manchem Bürger Unbehagen einflößt, ist für Profisportler ein echter Gewinn. Während man selber nicht unbedingt öffentlich preisgibt, wo man sich gerade befindet, geschweige denn, was man gerade macht – Social Media-Nutzer mal ausgenommen – kann die Erfassung von Bewegungsdaten im Sport, und hier gerade bei den Profis, von erheblichem Nutzen sein. Die richtigen Schlüsse daraus gezogen, lässt sich nämlich auch im Teamsport für jeden einzelnen ein exakt auf ihn zugeschnittenes Belastungs-, respektive Regenerationsprofil erstellen. Das wiederum bietet eine wertvolle Basis zur Steuerung des Trainings und der Einsatzzeiten im Wettkampfgeschehen. Dank Kinexon hat in dieser Saison auch in der Handball-Bundesliga die Zukunft begonnen.
 
Das Münchner Unternehmen entwickelt Tools und Methoden, die es ermöglichen, Kommunikationsprozesse zwischen Menschen und “Dingen” in Echtzeit zu erfassen. Dazu ist es notwendig, den jeweiligen Ort und den genauen Status der Beteiligten zu kennen. Auf den Sport, speziell auf den Handball bezogen bedeutet das, von jedem Spieler werden während des Spiels eine Vielzahl von Werten erfasst. Unter anderem, welche Strecke er in welcher Geschwindigkeit zurücklegt, auf welcher Positionen er Ballkontakt hat, wie oft er von wo aus und wie fest aufs Tor wirft, wie lange er beim Sprungwurf in der Luft ist, wie schnell sein Puls ist, etc. Diese Werte, misst ein unter dem Trikot direkt am Körper getragener Sensor und übermittelt die Daten in Echtzeit an den Computer.

Was hat der Sportler davon? Sportwissenschaftler Dr. Florian Sölter, Athletikcoach des MT Bundesligateams und in dieser Funktion auch für den Nachwuchs zuständig, steht an der Schnittstelle von Datengewinnung, Analyse und Aufbereitung. Sein Ziel ist es, die Trainingsbelastung so zu steuern, dass die Spieler möglichst verletzungsfrei und physisch optimal vorbereitet für den Wettkampfeinsatz zur Verfügung stehen. Er überwacht dabei, dass der Korridor im Belastungsprofil in der täglichen Trainingsarbeit nicht verlassen wird. Zu geringe Belastung ist dabei genauso unerwünscht, wie zu hohe. Dazu gibt er Trainer Heiko Grimm jeweils entsprechende Hinweise, welcher Spieler wie gefordert werden kann, beziehungsweise besser geschont werden sollte, um eine Überlastung zu vermeiden.

Was über die derzeitigen Anwendungsbereiche hinaus noch alles per Datenanalyse und -aufbereitung möglich sein könnte, darüber machten sich rund 35 Teilnehmerinnen und Teilnehmer eines von MT Partner eoda GmbH initiierten Workshops Gedanken. Den Startschuss dazu lieferte Mitgeschäftsführer Oliver Bracht. Er umschrieb die Kompetenz des 2010 in Kassel gegründeten Unternehmens mit “Data Science”, vereinfacht gesagt “Daten in Wissen verwandeln”, und verwies auf inzwischen über 200 zufriedene Kunden, darunter 14 DAX Konzerne. Der Kontakt zur MT besteht seit fast fünf Jahren, eoda führte in dieser Zeit zwei umfangreiche Zuschauerbefragungen durch.

Nachdem Dr. Florian Sölter den Workshop-Teilnehmerinnen und Teilnehmern, darunter auch MT-Vorstand Axel Geerken, Trainer Heiko Grimm, die Spieler Stefan Salger und Julius Kühn sowie Partner und Sponsoren, den aktuellen Stand der Datengewinnung und - verwendung an praktischen Beispielen vorgestellt hatte, wurden in mehreren Kleingruppen Ideen für eine künftige Datennutzung entwickelt. Dabei reichten die Vorschläge von Echtzeit-Daten, die der Trainer direkt während des Spiels in seine Entscheidungen einbeziehen kann, über das konkrete Zusammenwirken und damit die Aufstellung einzelner Formationen bis hin zur Zusammenstellung des Kaders nach physiologischen Gesichtspunkten.

Das Kreativpotenzial erstaunte schließlich sogar die Experten von eoda: “Die meisten unserer Workshops laufen sonst mit wesentlich weniger Teilnehmern einen ganzen Tag lang, Umso positiver sind wir von den vielen guten Ergebnissen überrascht”, machte Oliver Bracht der sehr gemischt zusammengesetzten Runde ein großes Kompliment.

Heiko Grimm, Florian Sölter und natürlich auch die beiden MT-Profis hatten aufmerksam zugehört. “Es ist für uns als Spieler schon sehr hilfreich, die Belastungsgrenzen zu kennen und danach entsprechend zu trainieren”, gibt Julius Kühn zu verstehen. Der Rückraumshooter ist nach seiner schweren Knieverletzung jetzt noch stärker für diese Zusammenhänge sensibilisiert. Als Fan der NBA weiß Stefan Salger, dass die komplexe Trainingssteuerung unter Datenverwendung schon seit längerem bei der amerikanischen Basketball-Liga Gang und Gebe ist. Er selber, der hierzulande in mehreren Handballclubs gespielt hat, lernte eine gezielte Anwendung nun zum ersten Mal bei der MT kennen und ist ebenfalls vom Nutzen für sich als Spieler überzeugt.

Trainer Heiko Grimm erkennt die Vorteile an, sieht aber die Zukunft von “Big Data” im Handball durchaus differenziert: “Man muss diesen neuen Möglichkeiten aufgeschlossen gegenüber stehen und schauen, welche Daten und Analysen für die eigene Situation wichtig sind und einen weiterbringen. Letztendlich werden zum Beispiel bei der Aufstellung einer Mannschaft aber auch noch andere Aspekte weiterhin eine große Rolle spielen. Etwa die Taktik, die Besonderheiten des Gegners oder die mentale Verfassung einzelner Spieler. Ich denke, es wird in dieser Hinsicht auch künftig noch viel von der Erfahrung und der Einschätzung des Trainers abhängen” so der MT-Coach.

Bei eoda indes ist man sich sicher, dass der Profihandball noch ganz am Anfang steht. Die Bundesligisten sind schließlich erst seit dieser Saison mit dem Kinexon-Sensor ausgestattet. Da nutzen wahrscheinlich erst wenige Clubs die verfügbaren Möglichkeiten. Die Experten gehen davon aus, dass durch eine Verfeinerung der Datengewinnung und eine immer gezieltere Aufbereitung entsprechende Tools in absehbarer Zeit zum Standardrepertoire der Trainingssteuerung gehören. Die NBA-Clubs, bei der Kinexon übrigens 70 Prozent Markanteil im Bereich „Performance Tracking“ inne hat, hätten sich diese nützliche Form von „Big Data“ vor ein paar Jahren sicher auch noch nicht träumen lassen.

Weitere Infos zu den Unternehmen:
www.eoda.de
kinexon.com/de