Allendorf: Damit hat wohl niemand gerechnet

Die MT Melsungen blickt auf ein turbulentes Jahr zurück. Mittendrin: Michael Allendorf, erst als Sportdirektor, seit Oktober als Vorstand Bundesliga und Spielbetrieb. Im Interview zieht der langjährige MT-Linksaußen Bilanz.

So viel ist sicher: Rund um die MT Melsungen kehrte im zurückliegenden Jahr selten Langeweile ein. Sportliche Krise, personelle Wechsel, Unruhe, Kritik, dann ein famoser Saisonstart und mitreißende Spiele – kurzum: Der nordhessische Handball-Bundesligist hat 2023 einiges durchgemacht. Auch dazu äußert sich Michael Allendorf im Interview. Er war einverstanden, geduzt zu werden.

Michael, hast du über die Feiertage durchatmen können?
Ein paar freie Tage habe ich mir gegönnt. Die Bundesliga hat Pause, die Nationalmannschaft bereitet sich auf die EM vor – da kann ich ein bisschen durchatmen.

Seit Oktober bist du offiziell Vorstand Bundesliga und Spielbetrieb bei der MT und nicht mehr Sportdirektor. Wie ist dir der Wechsel bekommen?
Was die reinen Aufgaben betrifft, gibt es nicht allzu viele Unterschiede. Der Weg dahin hatte es allerdings in sich. Die Verantwortlichen hatten sich für einen strukturierten Prozess entschieden, interne wie externe Kandidaten mussten ein Bewerbungsverfahren durchlaufen – ich ebenfalls. Und es macht mich schon stolz, dass ich mich durchgesetzt habe.

Mit deiner Beförderung ist untrennbar das Aus von Axel Geerken verbunden. Er hatte dich seinerzeit ins Management der MT geholt. Wie ist dein Verhältnis zum ehemaligen MT-Vorstand?
Wir haben immer mal wieder Kontakt und pflegen ein gutes Verhältnis. Wir sind ja auch nicht im Streit auseinander gegangen. Was den Job betrifft, habe ich von Anfang an versucht, meinen eigenen Weg zu finden.

Gibt es Situationen, die du im Rückblick anders handhaben würdest?
In den ersten Monaten 2023 gab es viel Unruhe. Ich hätte mir gewünscht, dass wir manche Dinge nur intern gelöst hätten ohne die öffentliche Aufmerksamkeit. Aber daraus haben wir gelernt. Das hat sich inzwischen gebessert.

Trotzdem: Du hast Kritik einstecken müssen. Nehmen wir etwa die Verpflichtungen von Sipos, Balenciaga und Kristopans – dafür hast du einiges abbekommen, auch von den eigenen Fans, oder?
Das war eine ganz neue Erfahrung für mich, und ich musste lernen, damit umzugehen. Damals lief es insgesamt schlecht, dann wird jede Entscheidung besonders kritisch beäugt. Aber hinter jeder Personalie steckte ein Plan, das war mit Trainer Parrondo abgesprochen, und mir war und ist es extrem wichtig, dass Spieler auch charakterlich perfekt zur MT passen.

Offensichtlich tun sie das. Die drei Neuzugänge haben großen Anteil an der positiven Entwicklung der Mannschaft. Empfindest du so etwas wie Genugtuung?
Zunächst sollten wir nicht vergessen, dass wir im Sommer den einen oder anderen Spieler abgegeben haben – auch das hat kritische Töne erzeugt. Manchmal ist es aber nun mal nötig, alte Strukturen oder Hierarchien aufzubrechen, damit sich ein Team neu entfalten kann, damit es wieder füreinander kämpft. Das Ergebnis unserer Entscheidungen sehen wir heute.

Noch mal: Empfindest du jetzt Genugtuung?
In meinem ersten Jahr als Sportdirektor hatte ich kaum Möglichkeiten, Einfluss zu nehmen – unter anderem wegen laufender Verträge. Da gab es wenig Spielraum. Nach meinen ersten Transfers hagelte es direkt Kritik. Zu alt, nicht deutsch und was weiß ich. Dass die Drei dann so einschlagen, und das Team nun so toll harmoniert, freut mich natürlich. Wie die Mannschaft insgesamt auftritt und die aktuelle Platzierung sind Genugtuung genug.

Apropos: Die Mannschaft harmoniert nicht nur, sie überwintert auf dem vierten Tabellenplatz. Hast du damit gerechnet?
Ich glaube, damit hat wohl niemand gerechnet. Natürlich hatten wir mit den drei Heimspielen zu Saisonbeginn eine gute Ausgangslage. Wir dürfen aber nicht vergessen: Diese Situation hat zugleich Druck erzeugt, aber wir haben die Prüfung bestanden. Was folgte, war der Sieg in Kiel. Und vor allem die Art und Weise, wie die Mannschaft dort gewonnen hat, hat mich unglaublich beeindruckt. Das hat uns beflügelt, das Selbstvertrauen wurde größer, und wir kamen in einen Lauf.

Dann setzte es Anfang Oktober am achten Spieltag die erste Niederlage – ausgerechnet beim Tabellenletzten, dem Bergischen HC. Wie groß war deine Befürchtung, dass nun ein negativer Lauf beginnt wie in früheren Jahren?
Mir war klar, dass irgendwann der Tag kommt, an dem wir verlieren. Aber wie die Spieler mit der Niederlage umgegangen sind, das zählt für mich zu den Höhepunkten der Hinrunde. Im Übrigen auch die Reaktion nach den anderen Niederlagen. Wir sind nämlich nicht in eine Abwärtsspirale geraten, uns haben die Dämpfer nicht aus der Bahn geworfen. In früheren Jahren musste ich manchmal lange überlegen, welche Spiele von uns richtig gut waren. In dieser Saison fallen mir nicht sehr viele Begegnungen ein, in denen wir richtig schlecht waren. Wir dürfen also durchaus sagen: Wir haben vieles richtig gemacht.

Richtig gut könnte es für die MT im Pokal laufen. Wozu ist diese Mannschaft in der zweiten Saisonhälfte noch imstande?
Beim Final Four herrscht eine unglaubliche Atmosphäre, und natürlich ist es unser Ziel, in Köln dabei zu sein. Dazu benötigen wir nur einen Sieg. Bei einem Zweitligisten. Alle wissen, welche Möglichkeit sich da für uns bietet. Und wir werden mit maximaler Konzentration und vollem Einsatz die Aufgabe in Lübbecke angehen. Vorher mache ich mir keine konkreten Gedanken ums Final Four.

Und die Saisonziele an sich: Hat sich nach der tollen Hinrunde womöglich etwas verschoben?
Ein klares Nein. Schon nach unserer Siegesserie zu Beginn, als der eine oder andere mit der Champions League anfing, sind wir auf dem Teppich geblieben. In der Königklasse sehe ich uns nicht, dazu fehlt uns noch die Breite im Kader. Aber ja: Wir wären gern international dabei. Mit Gummersbach und Hannover haben wir kurz vor Weihnachten zwei direkte Konkurrenten geschlagen. Unser Ziel ist Platz fünf, dafür haben wir die Qualität.

Unabhängig von der sportlichen Qualität und den Erfolgen: Was unterscheidet die MT in der Saison 2023/24 von der MT aus vorherigen Spielzeiten?
Manches habe ich bereits angesprochen. Die MT ist nicht mehr die launische Diva von einst, nach Niederlagen kriegen wir direkt wieder die Kurve. Die Spieler kämpfen und arbeiten miteinander. Dieses Auftreten der Mannschaft hat nicht zuletzt Fans und Spieler wieder mehr zusammengeschweißt. Darüber hinaus dürfen wir einen wesentlichen Aspekt nicht vergessen: Es hat vielleicht etwas Zeit gebraucht, aber das System von Roberto Garcia Parrondo funktioniert nun. Jetzt fruchtet es.

Zum Jahreswechsel gehören auch Vorsätze. Was hast du dir vorgenommen?
Zuallererst sollte ich selbst mehr Sport treiben (lacht). Was die Mannschaft betrifft, da hoffe ich, dass unsere Nationalspieler die EM schadlos überstehen, dass wir generell von Verletzungen verschont bleiben und dass wir so konstant weitermachen wie in der ersten Saisonhälfte. Und natürlich möchte ich zum Final Four. Außerdem beginnt Mitte Januar mit Andreas Mohr unser neuer Finanzvorstand. Ich hoffe, dass sich alles schnell und gut einspielt und dass die Zusammenarbeit mit allen Kollegen der Geschäftsstelle weiter so erfolgreich und harmonisch ist.