Derby-Dramatik pur und Wolfs Kunstwurf ins Eck

Erst im Herzschlagfinale bei bereits abgelaufener Uhr siegte die MT Melsungen 2 beim Nordhessenderby gegen den GSV Eintracht Baunatal mit 23:22 (10:7). Tom Wolf traf und bescherte den jubelnden Gastgebern (Foto: Heinz Hartung) einen gelungenen Jahresauftakt.

Im Grunde ist das Spiel schnell zusammengefasst. Melsungen wurde seiner Favoritenrolle spielerisch durchaus gerecht, scheiterte aber viel zu oft im Abschluss. Baunatal kam meist gar nicht erst zum Abschluss und verlor seine Bälle bereits im Aufbau. Ganz stark bei der MT: die gesamte Abwehr mit wechselweise Florian Weiß, Bruno Eickhoff und Tom Wolf im Innenblock. Gegen dieses Trio war kaum etwas zu machen. Ebenso stark bei der Eintracht: Torhüter Moritz Goldmann. Der verlor zwar mit seinen Mannschaftskameraden das Spiel, gewann aber individuell das kleine Torhüterduell gegen seine Melsunger Kollegen um Längen. Über die gesamte Distanz sorgten auf den prall gefüllten Tribünen 750 Fans beider Lager für einen stimmungsvollen, immer fairen Rahmen.

Insofern wäre das Unentschieden nach 60 gespielten Minuten ganz sicher kein falsches Ergebnis gewesen, wenngleich die Hausherren das eher zähneknirschend, die Gäste dagegen stolz und mit Genugtuung hingenommen hätten. Ganz zu Anfang hatte Baunatal durch Kevin Trogisch und Max Bieber sogar zweimal mit 1:0 und 5:4 geführt. Wobei sich dieser Anfang schon über eine Viertelstunde erstreckte. Es haperte eben beidseitig mächtig in Sachen Offensive und Torerfolge, siehe weiter oben.


Florian Weiß war Dreh- und Angelpunkt im Spiel der MT Melsungen 2 (Foto: Heinz Hartung)

Auch als Rot-Weiß, angeführt vom überzeugend aufspielenden Florian Weiß, Mitte der ersten Hälfte die Zügel fester in die Hand nahm, hinten fast komplett dicht machte und mit einem 4:0-Lauf per Tempogegenstoß von Florian Drosten auf 8:5 (22.) stellte, kam kein wirklicher Fluss auf. Baunatal wehrte sich, von Max Pregler defensiv gut eingestellt, wirkungsvoll gegen die fast durch die Bank individuell stärkeren Kontrahenten. Und konnte sich immer wieder bei Goldmann bedanken, dass der meist erledigte, was dennoch durchgekommen war. Nur zehn Tore Melsungens zur Pause, davon zwei Siebenmeter und nicht weniger als fünf Tempogegenstöße, sprachen Bände über die Schwierigkeiten, aus dem Feld erfolgreich zu sein.

Wer dachte, dass die Rollen bei drei Toren Differenz nach 30 Minuten verteilt gewesen wären, sah sich schnell getäuscht. Die Gäste waren durch Trogisch und Bieber schnell wieder dran. Gerieten abermals sogar mit vier ins Hintertreffen, als Eickhoff zugunsten von Wolf auf den Wurf ins gerade unbesetzte Tor der VW-Städter verzichtete (13:9, 34.). Profitierten dann aber von der Disqualifikation, die Benjamin Fitozovic nach einer etwas ungestümen Aktion gegen Lasse Hellemann kassierte. Zweimal Trogisch, einmal Lasse Reinhardt ohne einen Gegentreffer und die Überzahl war optimal genutzt.

In genau diesem Stil fand die Partie ihre zuweilen seltsam anmutende Fortsetzung. Denn Tore fielen immer im Doppel- oder Dreifachpack für eins der Teams, dann erst war das andere wieder dran. Einerseits erstaunlich die Melsunger Fähigkeit, immer im richtigen Moment wieder anzuziehen; andererseits bewundernswert die Moral der Baunataler, nie aufzustecken und sich wieder heran zu robben. Insofern also ein echtes Lokalderby mit reichlich emotionalem Füllstoff, das seinen Reiz jedoch mal nicht aus permanent wechselseitigen Jubelszenen bezog. Als Eickhoff spektakulär mit dem Rücken zum Tor das 16:12 (40.) machte, war der sich anschließende 0:4-Lauf zum erneuten Ausgleich durch Trogisch (46.) praktisch schon vorgezeichnet.


Eine Bank in der Defensive, treffsicher im Angriff: Bruno Eickhoff verdiente sich im Derby Bestnoten (Foto: Heinz Hartung)

Zweimal Melsungen, zweimal Baunatal, dreimal Melsungen, dreimal Baunatal, alles immer am Stück: Über 18:18 (50.) und 21:21 (58.) näherte sich der Schlagabtausch seinem Finale Furioso in den letzten zwei Minuten. In denen Eickhoff krachend die Latte traf, Trogisch völlig frei am eingewechselten und sensationell reagierenden Jan Lasse Herbst scheiterte. Dann aber Jonas Riecke 45 Sekunden vor Ultimo endlich zu seinem ersten Treffer des Tages kam und Reinhardt mit noch sechs Sekunden Rest auf der Uhr den vermeintlichen Endstand herbeiführte.

Sechs Sekunden, die real noch mindestens 150 werden sollten. In denen es auf den fast voll besetzten Rängen der Stadtsporthalle kaum noch jemanden auf dem Sitz hielt. Denn erst schwor Finn Lemke sein Team in einer Auszeit auf den letzten Angriffszug ein, dann wurde Florian Weiß auf seinem schnellen Solo in die Nahwurfzone zwei Sekunden vor Schluss unsanft von den Beinen geholt. Der Pfiff der Schiris kam eine Winzigkeit vor der Sirene. Ein allerletzter direkter Freiwurf also nach Ablauf der Spielzeit. Vorher noch ein paar Diskussionen, nervöses Verschieben der Baunataler Mauer, dann der Wurf von Tom Wolf durch die hochgereckten gegnerischen Arme.

Nicht etwa verzweifelt mit blanker Gewalt, sondern kontrolliert, mit Auge für die Lücke und absolut passgenau so exakt in den Winkel, dass selbst der ansonsten überragende Goldmann nichts mehr machen konnte. Auf den Rängen eine Mischung aus ungläubigem Raunen und zunächst verhaltenem Jubel, der dann aber schnell zu Orkanstärke anschwoll. Schluss, aus, vorbei, Derbysieg noch nach der letzten Sekunde für die MT Melsungen 2. Ob nun glücklich durch den Zeitpunkt oder verdient über die gesamte Spielzeit wird bald schon niemanden mehr interessieren. Aber die Geschichten drumherum, die dieses Derby einmal mehr schrieb, werden wohl noch lange im Gespräch bleiben.

Statistik
MT Melsungen 2: Büde (7 Paraden / 20 Gegentore) Herbst (1 P. / 2 G.) - Stehl, Riecke 1, Grolla, Reinbold 1, Liebergesell 1, Wöhler, König 2/2, Fitozovic 1, Drosten 3, T. Wolf 3, Andrei 1, Weiß 5/2, Eickhoff 5 – Trainer Finn Lemke.
GSV Eintracht Baunatal: Goldmann (16 P. / 23 G.), B. Wolf (n. e.), Breitschwerdt (n. e.) – Dobriczikowski, Tsymbaliuk, Helbing 2, Schwöbel, Kurtz 2, Backhaus 1, Kleinschmidt, Horstmann, Meyners, Trogisch 7/2, Bieber 2, Reinhardt 6, Hellemann 2 – Trainer: Max Pregler.
Schiedsrichter: Philipp Schürhoff / Benedikt Steinebach (Olpe / Siegen) – Zeitstrafen: 8 : 6 Minuten – Disqualifikation: Fitozovic (MT, 35.) - Strafwürfe 6/4 : 3/2 - Zuschauer: 750

Verlauf: 0:1 (4.), 2:1 (6.), 4:3 (11.), 4:5 (15.), 8:5 (22.), 8:7 (27.), 10:7 (Halbzeit) – 10:9 (32.), 13:9 (34.), 13:12 (37.), 16:12 (40.), 16:16 (46.), 18:16 (48.), 18:18 (50.), 21:18 (55.), 21:21 (58.) 22:22 (60.), 23:22 (Ende).