Leidenschaftliche MT feiert – und Danner trifft
Unfassbarer Abend: Allen Personalsorgen zum Trotz hat eine leidenschaftlich kämpfende MT Melsungen einen 34:25 (17:12)-Erfolg gegen den SC DHfK Leipzig gefeiert.
Welch eine Stimmung in der Kasseler Rothenbach-Halle – und das ab der ersten Sekunde: Angetrieben von ihren frenetischen Fans ist der personell arg gebeutelte MT Melsungen ein bemerkenswerter Sieg gelungen. Am 22. Spieltag der DAIKIN Handball-Bundesliga zeigten die Nordhessen viel Herzblut und bezwangen den SC DHfK Leipzig 34:25 (17:12).
Somit bleibt die MT in dieser Spielzeit in eigener Halle ungeschlagen und verteidigt obendrein den ersten Tabellenplatz.
Für die MT-Fans gab es schon vor dem Anwurf eine dicke Überraschung: Zum Kader gehörte ein Spieler, dessen Bild seit einigen Jahren unter dem Dach der Rothenbach-Halle hängt. Die Rede ist von Felix Danner (Foto: Käsler), der von 2009 bis 2021 für die MT auflief und heute so etwas wie Legendenstatus besitzt.
Mehr oder weniger über Nacht war der Kreisläufer in seine alte Heimat gereist, um seinem ehemaligen Verein angesichts der prekären Personallage zu helfen. „Als ich gefragt wurde, habe ich direkt meine Sachen gepackt und bin ins Auto gestiegen“, sagte der 39 Jahre alte Ex-Profi vor der Partie. Ob aus dem kurzfristigen Einsatz eine längere Nummer wird, soll während der Länderspielepause entschieden werden. So oder so: eine wunderbare Aktion von Felix Danner.
Und es passte zu diesem irren Abend, dass der Mann mit der Nummer 17 mit seinem Treffer zum 34:25 den Schlusspunkt unter diese Partie setzte.
MT-Trainer Roberto Garcia Parrondo standen inklusive Danner nur elf Feldspieler zur Verfügung. Und zu allem Übel sah Adrian Sipos nach gut 20 Minuten auch noch die Rote Karte wegen groben Foulspiels. Aber egal: Das war ein ganz starker Beginn, den die MT da hinlegte. Aufmerksam, beweglich und hellwach spritzten sie nach vorn, verschoben zur Seite und ließen hinten nicht ansatzweise ein Loch für die Leipziger. Die leisteten sich auch gleich mal vier Würfe über oder neben das Tor, zwei parierte Nebojsa Simic. Hatte die MT den Ball, ging es im Expresstempo nach vorn. Zweimal Sipos, der die erste Welle immer mitging, je einmal Svensson und Timo Kastening – 4:0 (5.), und schon früh ein Höllenspektakel.
Erst als Stephan Seitz Simic nach sechs Minuten erstmals überwand und Leipzigs Rückzugsverhalten besser wurde, entwickelte sich jenes Spiel, das man angesichts der Umstände prognostiziert hatte: Sehr körperlich, mitunter verbissen, wesentlich ausgeglichener als zuvor. Die Gäste waren spätestens nach Luca Witzkes 4:3 (9.) drin, mit Staffan Peters 5:5 (15.) sogar auf Augenhöhe. Das Heft behielten allerdings die Hausherren in der Hand, auch wenn sie für ihre Tore nun wesentlich mehr ackern mussten. Für Ian Barrufet wurde mustergültig abgeräumt, Dainis Kristopans nahm zwei einfach aus der zweiten Reihe mit – 9:7 (19.).
Kurz darauf begannen turbulente Minuten. Erst fuhr William Bogojevic Linksaußen Barrufet beim Tor zum 10:8 in die Parade und hatte nach Videobeweis Glück, mit zwei Minuten davonzukommen. Keine halbe Minute später rannte Witzke MT-Abwewhrchef Sipos in die Schulter. Der nächste Videobeweise, diesmal Rot für den Melsunger. Die Halle tobte, ging kurz darauf aber in Jubelstürme über, als nämlich die Gastgeber mit dem Publikum im Rücken mächtig aufdrehten. Nikolaj Enderleit schraubte das Ergebnis auf 14:11 (26.) hoch.
Damit noch längst nicht genug in dieser denkwürdigen ersten Hälfte. Eben noch hatte Witzke auf zwei verkürzt, da preschte Erik Balenciaga entschlossen durch die Leipziger Deckung, wurde aber von Moritz Preuss dermaßen rüde von den Beinen geholt, dass die Referees diesmal auf das Videostudium verzichteten und sofort den roten Karton zogen (27.). Zweite Disqualifikation im Spiel, und die MT so weit obenauf, dass Kristopans kurz vor der Halbzeitsirene noch auf plus fünf erhöhen konnte.
Auch die zweite Hälfte bot gleich einen Gänsehaut-Moment, als Danner sein Comeback gab. Sieben gegen sechs war angesagt, ein zweiter Kreisläufer wurde gebraucht. Ein Höllenspektakel. Irre, wie die Fans ihre MT trugen. Der Vorsprung hielt, Barrufet traf doppelt zum 20:15 (39.). Leipzig versuchte es ebenfalls mit einem Feldspieler mehr, scheiterte damit aber: Kastening klaute das Leder und traf in den verlassenen Kasten zum 22:16 (41.). Souverän, was der Tabellenführer da ablieferte.
Es war nicht allein das Ergebnis, das begeisterte, sondern die Art und Weise, wie das arg dezimierte Team auftrat – absolut aus einem Guss mit begeisternden Aktionen. Dabei immer wieder eine Augenweide die Anspiele von Kristopans auf Rogerio Moraes, die der Brasilianer überwiegend sicher im Tor unterbrachte. Von der Siebenmeterlinie blieb Barrufet eine Bank, und hinten machte Simic mal wieder dicht und schloss ab. Ein Meer von Simo-Klatschpappen auf den Rängen, als er Andri Mar Runarssons Siebenmeter parierte und Lärm bis zum Abwinken bei der nächsten Koproduktion von Kristopans und Moraes zum 28:21 (48.).
Zehn Minuten vor dem Ende war die Messe gelesen. Es waren die Minuten der ausverkauften Rothenbach-Halle. Ein kollektiver Jubel nach dem nächsten, sei es wegen der nächsten Siebenmeter-Parade des eingewechselten Adam Morawski gegen Lukas Binder oder des klasse Kombinationsspiels der MT, die die komplette Breite des Feldes nutzte und Kastening immer wieder freispielte.
Und schließlich musste man sich sogar noch Gedanken über die Haltbarkeit des Hallendachs machen, als 20 Sekunden vor Schluss Danner die Kugel zum 34:25-Endstand in die Maschen wuchtete. Wahnsinn! So etwas kannst du dir nicht ausdenken. (Michael Koch / Robin Lipke)
Stimmen:
Runar Sigtrygsson: Glückwunsch an Melsungen zum verdienten Sieg. Wir kamen anfangs leider nicht in die Tiefe und konnten die MT-Abwehr nicht vor Aufgaben stellen. Erst nach 15 Minuten waren wir auf Augenhöhe. In der zweiten Hälfte hatten wir zwar einige Ballgewinne, konnten die gute Leistung von Saeveras aber nicht nutzen. Die Stimmung in der Halle war heute überragend.
Roberto Garcia Parrondo: Wir sind mit dem Sieg heute sehr zufrieden. Es war auch einfach eine tolle Atmosphäre in der Halle. Wir sind im Moment alle sehr müde durch die Situation mit unseren Verletzten und brauchen solche Unterstützung. Alle meine Spieler haben heute zu 100 Prozent gekämpft. Das war wirklich ein sehr gutes Spiel.
Statistik:
MT Melsungen: Simic (9 Paraden / 24 Gegentore), Morawski (2 P. / 1 G.); Enderleit 3, Balenciaga 2, Sipos 2, Kristopans 4, Ignatow, Moraes 5, Danner 1, Soler, Svensson 4, Kastening 5, Barrufet 8/4 – Trainer Roberto Garcia Parrondo.
SC DHfK Leipzig: Ebner (2 Paraden / 13 Gegentore), Saeveras (8 P. / 21 G.); Runarsson 4, Ernst 1, Witzke 6, Krzikalla, Greilich, Binder 4/2, Mamic, Peter 2, Bogojevic, Preuss 1, Schmitt 2, Rogan 3, Seitz 2, Hönicke – Trainer Runar Sigtryggsson.
Schiedsrichter: Martin Thöne (Lilienthal) / Marijo Zupanovic (Berlin); Spielaufsicht: Ralf Damian.
Zeitstrafen: 2 – 10 Minuten (Sipos 20:49 – Witzke 10:54, Bogojevic 20:23, Runarsson 23:57/40:08, Preuss 26:37); Rote Karte: Sipos 20:49, grobes Foulspiel – Preuss 26:37, grobes Foulspiel.
Strafwürfe: 4/4 – 5/2 (Binder trifft nur die Latte 44:31, Simic pariert Wurf von Runarsson 47:10, Morawski Sieger gegen Binder 55:56)
Zuschauer: 4.491 in der Rothenbach-Halle, Kassel (ausverkauft)
Spielstände: 1:0 (2.), 4:0 (5.), 4:3 (9.), 5:5 (15.), 7:7 (17.), 10:8 (21.), 12:9 (24.), 14:11 (26.), 16:12 (29.), 17:12 (30.) HZ – 17:13 (31.), 20:15 (39.), 24:18 (43.), 27:19 (48.), 30:22 (54.), 32:24 (56.), 34:25 (60.) Endstand.