Lichtlein: Auf der Bank bin ich im Tunnel
Wie durchwachsen es bei der MT Melsungen in der zurückliegenden Saison auch lief, auf das Torwart-Duo war in der Regel Verlass. Großen Anteil an der positiven Entwicklung hat der Mann, der vor einem Jahr als Torwarttrainer beim nordhessischen Handball-Bundesligisten startete: Carsten Lichtlein.
Keine Frage, Carsten Lichtlein ist bestens angekommen in Nordhessen. Nicht nur mit Blick auf die Leistungen der Torhüter Adam Morawski und Nebojsa Simic. Menschlich hat der 42 Jahre alte Ex-Profi die MT Melsungen ebenfalls bereichert. Nun geht es für Lichtlein in die zweite Saison als MT-Torwarttrainer. Auch darüber äußert er sich im Interview. Lichtlein war einverstanden, geduzt zu werden.
Carsten, ein turbulentes erstes Jahr als Torwarttrainer?
Was heißt turbulent? Wir hatten Hochs und Tiefs, das gehört im Sport dazu. Unruhe gibt es in jedem Klub. Die MT wird aber nun mal etwas genauer beäugt als andere Vereine.
Also hast du deinen Schritt nicht bereut?
Auf keinen Fall. Ich betrachte das Jahr keinesfalls negativ. Die Arbeit als Torwarttrainer macht unglaublich Spaß. Es war meine erste Saison in der neuen Rolle, und natürlich war ich gespannt, wie ich mich in die Aufgabe einfinde und wie das Zusammenspiel im gesamten Trainerteam sein wird. In jedweder Hinsicht habe ich überhaupt nichts zu meckern.
Zu meckern gibt es auch nichts an den Leistungen deiner Schützlinge. Macht dich das ein bisschen stolz?
Ein dickes Kompliment an Adam und Simo, die beiden haben eine hervorragende Saison gespielt. Ich glaube, jeder hat gesehen, dass sie mit Spaß bei der Sache sind und dass sie gut miteinander harmonieren. Vor allem haben sie ein hohes Niveau konstant gehalten. Das war mein Ziel. Die Jungs setzen das um, was wir vorher besprochen und erarbeitet haben. Wenn das alles funktioniert, fühle ich mich bestätigt in meiner Arbeit, und klar, das macht mich stolz.
Was genau wird denn besprochen und erarbeitet?
Wir studieren Bewegungsabläufe und Wurfbilder der gegnerischen Spieler. Daraus ergibt sich ein Matchplan. Für Adam war es das erste Jahr in der Bundesliga, und er kam anfangs ganz fasziniert mit den Worten auf mich zu: „Das lief ja genau, wie wir es besprochen hatten.“ Solche Sätze hört ein Trainer natürlich gern. Speziell Adam musste auch lernen, uns zu vertrauen. Simo hat da schon etwas mehr Erfahrung mitgebracht. Ich bin fest davon überzeugt, dass die Leistungen bestätigt und bestenfalls noch verbessert werden.
Wie ist es für dich, nicht mehr im Tor zu stehen, sondern auf der Bank zu sitzen: Die Ruhe in Person bist du nicht unbedingt, oder?
Ich hatte vorab keinen Schimmer, wie ich reagieren würde. Ich habe aber sofort gemerkt, dass es in Sachen Leidenschaft und Ehrgeiz keinen Unterschied macht, ob ich Keeper oder Trainer bin. Auf der Bank bin ich im Tunnel, und ich mache mir keine Gedanken, was andere denken, wenn ich emotional durch die Decke gehe [lacht].
Inwieweit nimmst du Einfluss?
Ich beschäftige mich einzig und allein mit unseren Torhütern. Ich schaue mir so gut wie keinen Angriff von uns an, sondern beobachte Adam oder Simo: Gibt es negative Schwingungen? Fangen sie an zu grübeln? Hadern sie mit sich selbst? Falls dem so ist, greife ich ein, hole sie raus, rede mit ihnen, damit sie sich wieder richtig konzentrieren. Diesen Austausch an der Seitenlinie finde ich extrem wichtig. Bei der U21 war er im wahrsten Sinne des Wortes Gold wert.
Apropos, war der WM-Triumph mit den Junioren für dich so etwas wie die Kirsche auf der Sahne?
Das kann man so sagen. Ein absolutes Highlight. Das Turnier im eigenen Land, mein Neffe Nils mit im Team, eine super Truppe, dazu noch zwei Torhüter mit enormer Qualität – ja, das hat schon großen Spaß gemacht.
Bekommt dich deine Familie überhaupt zu Gesicht?
Meine Frau Isabell und meine Söhne Leon und Luca leben in Walldürn in Baden-Württemberg, etwa 250 Kilometer von Melsungen entfernt. Ich habe hier eine Wohnung. Bei engerer Spieltaktung ist es schwieriger, ansonsten kriegen wir die Fernbeziehung ganz gut hin. Außerdem bauen wir gerade in Würzburg, meiner Heimat, dann sind es nur noch knapp 190 Kilometer Fahrstrecke.
Und wie war es jetzt nach der Saison?
Okay, nach dem Ende der Bundesliga ging es fast nahtlos weiter mit der Junioren-Auswahl und der WM. Aber danach war ich zwei Wochen zu Hause, um abzuschalten. Als Trainer brauchst du nicht so viel Zeit zum Regenerieren, die Tätigkeit ist körperlich nicht so anstrengend. Ich bin schon wieder richtig heiß auf die nächste Saison. (Robin Lipke)
Zur Person:
Carsten Lichtlein (42) stammt aus Würzburg. Der ehemalige Torwart spielte in seiner Profikarriere für: TV Großwallstadt, TBV Lemgo, VfL Gummersbach, HC Erlangen, GWD Minden. 712 Bundesliga-Partien und 547 parierte Siebenmeter sind bis heute Bundesliga-Rekord. Für die DHB-Auswahl bestritt er 220 Partien, wurde 2007 Welt- sowie 2004 und 2016 Europameister. Mit Lemgo gewann er 2006 und 2010 den EHF-Cup. Seit der Saison 2022/23 ist er bei der MT Melsungen als Torwarttrainer tätig. Lichtlein ist verheiratet und Vater zweier Söhne.