Minus acht auf plus drei in 17 Minuten - Das unglaubliche Comeback der MT 2

Mit einem Kraftakt riss die MT Melsungen 2 ein Mitte der zweiten Spielhälfte bereits verloren geglaubtes Drittliga-Spiel noch um. Am Ende einer unwiderstehlichen Aufholjagd hieß es 34:31 (16:20) gegen das Team HandbALL Lippe 2!

Begonnen hatte die Partie mit einer Schweigeminute für Herbert Rausch. Der langjährige ehrenamtliche Manager der MT Melsungen verstarb am 4. Dezember im Alter von 84 Jahren. Handball-Spartenleiter und Hallensprecher Bernd Prauss gedachte dem zuletzt immer noch als beratendem Ehrenmitglied des Aufsichtsrats in einfühlsamen Worten, ehe die Partie von den Referees wieder freigegeben wurde.

Da, wo man gemeinhin ein Spiel von der Berichterstattung „zu macht“, nämlich bei einem Acht-Tore-Rückstand etwas mehr als eine Viertelstunde vor Schluss und an einem scheinbar rabenschwarzen Abend der vermeintlich unterlegenen Mannschaft, müsste man bei dieser Partie in der sportlichen Betrachtung eigentlich gerade erst anfangen. Womit allerdings keinesfalls der Eindruck erweckt werden soll, dass vorher auf dem Feld nichts Erwähnenswertes passiert wäre. Dennoch hielt diese unglaubliche Schlussviertelstunde in der Melsunger Stadtsporthalle Stoff bereit, über den vermutlich noch lange gesprochen wird. Die Renaissance einer MT 2 nämlich, die vermutlich (fast) alle bereits abgeschrieben hatten.

Es stand 20:28, nachdem Frederik Puls mit seinem fünften Treffer den Gastgebern vermeintlich den endgültigen KO-Schlag versetzt hatte. Knapp 43 Minuten waren absolviert, gefühlt 42 davon hatte Lemgos Zweite mehr oder weniger klar dominiert. Ohne dabei wirklich zu glänzen, das muss unbedingt erwähnt werden. Aber ein solides Herunterspielen des Gewohnten reichte eben, um die zeitweise völlig neben sich stehenden Nordhessen unter Kontrolle zu halten. Lemgo wirkte anfangs frischer, später dann abgeklärter. Und nutzte konsequent die Lücken in der viel zu breit stehenden MT2-Deckung.

Da rückten die Außen nicht ein, um die Räume eng zu machen, bekamen die sonst so zuverlässigen Lasse Ohl und Florian Weiß die Mitte nicht dicht. Klar konnte man bei Carl Beck oder später bei Jan Lasse Herbst darüber streiten, ob sie nicht auch den einen oder anderen Ball hätten halten können. Doch waren sie viel zu oft allein gelassen, weil immer wieder ein blaues Trikot frei am Wurfkreis auftauchte. Zusammen mit den schnellen Gegenstößen, die immer wieder Stockfehlern der Gastgeber im Vorwärtsgang entsprangen, genügte das den Gästen für ein sicheres frühes Polster.

Selbst als Ralfs Geislers, zuvor als Backup des an die HBL-Mannschaft abgetretenen etatmäßigen Regisseurs Thomas Houtepen der Dreh- und Angelpunkt im Spiel der Lipperländer, nach 18 Minuten nach einem Foul an Lasse Ohl Rot sah, vermochte dieser Verlust dem Spiel keine Wende zu geben. Im Gegenteil baute die Mannschaft von Matthias Struck von 8:12 auf 11:16 (24.) aus. Einzig Lasse Ohl, hinten auch nicht immer sicher, sorgte vorn mit seinen Toren dafür, dass der Kontakt nicht schon früh komplett abriss. Dennoch: Die vier Differenz, die es zur Pause trotz kurzer Stärkephase von Jona Rietze mit drei Toren am Stück immer noch waren, fühlten sich da schon wie weitaus mehr an.

Ein Eindruck, den Lemgo nach Wiederbeginn auch schnell mit Leben füllte. Erst den neuerlichen Fehlstart der Hausherren nutzend zum 17:24 (37.) per Siebenmeter von Hark Hansen, Dann sogar noch einen draufsetzend zum 20:28 durch Frederik Puls (43.). Nichts, aber auch gar nichts klappe wirklich zufriedenstellend im Spiel der Melsunger. Die fast schon verzweifelt versuchten, Handball zu zelebrieren – und damit komplett scheiterten. Die Außen bekamen keine verwertbaren Bälle, liefen aber auch nicht mal ein. Der Rückraum erging sich in endlosen Querpässen, ohne dabei Druck zu entwickeln. Wenn überhaupt ein Tor fiel, dann war das hart erarbeitet und zumeist eine Einzelleistung statt schön erspielt. Dazwischen gingen unzählige Bälle per Fehlpass verloren, noch bevor überhaupt ein Abschluss in Sicht war.

Das alles hatte jedoch nach eben jenem Puls-Schlag in der 43. Minute ein abruptes Ende. Schluss war mit der nicht klappenden Schönspielerei, plötzlich – und endlich - wurde ganz offiziell das Brecheisen herausgeholt. Natürlich mit dem Mann in vorderster Linie, dessen Spiel das 1-gegen-1 nun einmal ist: Manuel Hörr. Der blies zur Attacke, schlug einen Haken nach dem anderen. Und riss damit den Rest der Mannschaft einfach mit! Nein, es war längst nicht jede seiner Aktionen von Erfolg gekrönt. Aber die Art und Weise des Auftretens gab den Ausschlag.

Nicht nur im Vorwärtsgang, sondern auch hinten wurde endlich ordentlich gearbeitet. So stark, dass auch Jan Lasse Herbst im Tor davon profitieren und sich mehrfach auszeichnen konnte. Die zuvor nach einer Auszeit zuerst von 6:0 auf eine nicht komplett offene 3:2:1-Variante veränderte Deckung machte Laufwege zu, isolierte Marco Bilanzola links und Hark Hansen rechts. So richtig zündete das Defensivspiel aber erst, als 5:1 gespielt wurde. Mit Jona Rietze auf der Spitze, der selbst noch im Vorlauf der Partie meinte, das sei derzeit nicht die erste Wahl. Er selbst strafte sich Lügen und wurde zum Schreckgespenst der Lemgoer, die kaum mehr Anspielstationen fanden.

In Etappen wurde der Rückstand aufgearbeitet. Erst mit einem 5:0-Lauf auf 25:28 (Lasse Ohl, 47.). Den bremsten die Gäste in einem kurzen Comeback zwar ein, Fynn Jarik Hasenkamp baute wieder auf 26:30 (49.) aus. Aufzuhalten war der MT2-Express da aber schon nicht mehr. Im Gegenteil sollte das, zehn Minuten vor dem Ende, bereits das letzte Feldtor der Gäste gewesen sein. Denn nur einmal noch traf Hark Hansen: von der Siebenmeterlinie zum 28:31 (51.). Danach war das selbst gewählte Torjingle Manuel Hörrs Programm: „Der Zug hat keine Bremse“!

Entweder der Spielmacher traf selbst, wie zum 29:31 trocken aus der Hüfte durch die Abwehr ins linke untere Eck, oder er setzte seine Nebenleute überragend ein. So wie Lasse Ohl, der sich mit einem artistisch anmutenden Abschluss zum 30:31 bedankte. Der Ausgleich ging selbstverständlich auch auf Hörr, die erste Führung seit dem 1:0 in der ersten Minute besorgte Florian Weiß mit dem 32:31 (55.). Da waren die blauen Trikots schon mit gesenktem Haupt unterwegs. Wussten, dass sie das nicht mehr für möglich gehaltene Unheil nicht mehr aufhalten konnten und ergaben sich fast kampflos in ihr Schicksal.

Was Youngster Leon Stehl nutzte, um die Halle noch zweimal zum Beben zu bringen. Ehe der Schlusspfiff dem Spiel ein Ende und die rot-weißen Feierlichkeiten in Gang setzte. Für ein unglaubliches Comeback innerhalb von 17 Minuten, wie es die Stadtsporthalle wohl nur selten bisher erlebt hat.

Der Verlauf: 1:0 (1.), 1:3 (3.), 2:5 (6.), 3:7 (10.), 6:11 (14.), 8:12 (18.), 11:16 (24.), 13:16 (26.), 16:20 (Halbzeit), 17:24 (37.), 20:28 (43.), 25:28 (47.), 26:30 (50.), 28:31 (51.), 31:31 (56.), 34:31 (Ende).

Statistik

MT Melsungen 2: Beck (3 Paraden / 15 Gegentore), Herbst (9 P. / 15 G.), Büde (bei einem Siebenmeter, 0 P. / 1 G.) – Stehl 5, Grolla, Hörr 7, Reinbold, Rietze 5, Backhaus, Ohl 11, Beekmann, Kothe, Andrei 2, Weiß 3, Drosten 1, Markos – Trainer Arjan Haenen.

Team HandbALL Lippe 2: Goldbecker (7 P. / 26 G.), Kleinschmidt (0 P. / 8 G.) – Niedergriese, Ter Duis 1, Hasenkamp 3, Puls 5, Tomashevskyi 1, Bakker 3, Bilantola 2, Geislers 5, Hansen 9/5, Micheely 1, Hollstein 1 – Trainer Matthias Struck.

Z: 162 - SR: Florian Baltz / Luca Michels (Weinheim / Dossenheim) - Strafen: 6 - 8 Minuten – Disqualifikation: Geislers (THL, Foulspiel, 18.) - 7m: 0/1 – 5/5.